Vielleicht wird ja nun deutlich, warum es uns nach Teneriffa verschlagen hat, warum unser Flug nach Ecuador vorläufig nicht stattfinden konnte: Ich habe hier einen philosophischen Hit entdeckt, und er heisst Chuang-tzu (oder auch Tschuang-Tse).
Dass ich ein Liebhaber von Lao-tzu (Lao-tse) bin, dürfte vielen bekannt sein. Von Chuang-tzu hatte ich mal ein Buch, vor vielen Jahren, und ich weiss, dass er mir damals gefallen hat.
Das kleine Buch fiel mir in in die Hand, als ich kürzlich an der deutschen Strassen-Buchhandlung vorbei schlenderte. Ich sah einen Titel: TAO – Texte von Lao-tzu und Chuang-tzu.
Als ich auf dem Buchrücken las, dass Chuang-tzu durch seinen Humor und seine Ironie bekannt ist, war der Kauf keine Frage mehr. (Ich kaufe sehr wenig Bücher und habe sehr wenige mit dabei, wegen des Gewichtes.)
Chuang-tzu begeistert mich. Es ist gigantisch, was der Mann schreibt. Er hat im 4. Jahrhundert v. Chr. gelebt, etwas nach Lao-Tzu, in der hohen Zeit der Philosophen in China. Er schreibt philosophische Poesie, mit kräftigen Bildern, mit einer Ironie und souveränen Erhelltheit, die mir sonst noch kaum begegnet sind.
Er gefällt mir noch besser als Lao-tzu, und das will was heissen!
Worum geht es?
Natürlich um das Tao, das Unerklärbare, das durch Worte nicht gesagt werden kann, das nur der Weise erkennt und lebt.
Die erste Geschichte, die ich spontan aufschlug, handelt von einem Herzog und einem Radmacher. Der Herzog liest in einem Buch. Der Radmacher geht zu ihm und sagt sinngemäss: Wenn du in Büchern liest von Männern, die schon gestorben sind, dann liest du nur Abfall.
Der Herzog verlangt eine Erklärung, die folgendermassen lautet:
„Wenn ich beim Radmachen mit dem Hammer zu schwach zuschlage, rutscht mir der Meissel ab und greift nicht. Schlag‘ ich aber zu kräftig zu, dann steckt er gleich fest und lässt sich nicht mehr bewegen. Nicht zu schwach und nicht zu kräftig – die Hand bekommt ein Gespür dafür, und innerlich stimmt man sich darauf ab. Es lässt sich nicht in Worte fassen, und doch ist irgendein besonderer Trick dabei. Ich kann ihn meinem Sohn nicht lehren, und er kann ihn nicht von mir lernen….
Diese Männer aus längst vergangener Zeit nahmen alles Wissen, das sich nicht weitergeben liess, mit ins Grab. Also kann das, was Eure Hoheit hier lesen, nur der Abfall sein, der von ihnen übrigblieb.“
Was heisst das? Das versteht man sofort: Die eigentliche Kunst ist nicht lern- und nicht übertragbar, die kann man sich nur selbst durch Übung aneignen.
Das gilt genauso für die Lebenskunst, für die Weisheit, für die Lebensfreude: Man kann zwar darüber lesen, aber die eigentliche Tat, die Entscheidung kann man nur selbst vollbringen, den Weg kann man nur selbst gehen.
Es wimmelt von grossartigen Stellen in dem Buch. Manche sind wirklich hoch-philosophisch und auch paradox, aber viele sind gut verständlich und regelrecht ansteckend.
Ich habe solche Texte schon lange nicht mehr gelesen. Auch in der indischen Spiritualität habe ich kaum solche tiefgründigen und frechen Aussagen gefunden. Das Leela-Prinzip des Gottes Krishna hat uns beflügelt, aber in diesen chinesischen Texte kommt mir noch etwas ganz anderes entgegen.
Damals war die Welt nicht in Ordnung, und heute ist sie nicht in Ordnung. Aber damals gab es Menschen, die das Ganze mit sehr viel Humor, Klarsicht und Vision betrachteten!
Hier ist eine dieser Visionen:
In einem Zeitalter höchster Tugend werden die Grossen nicht geehrt und die Könner nicht beschäftigt. Herrscher sind wie die Wipfelzweige am Baum, das einfache Volk wie das Wild auf dem Feld. Sie tun das Rechte, aber sie wissen nicht, dass dies Rechtschaffenheit ist. Sie lieben einander, aber sie wissen nicht, dass dies Nächstenliebe ist. Sie sind wahrhaftig, wissen aber nicht, dass dies Treue ist. Darum hinterlassen ihre Schritte keine Spuren; darum werden ihre Taten nicht der Nachwelt überliefert.
Herrscher sind wie Wipfelzweige am Baum – wie schön! Sie schwingen mit, und das Herrschen ergibt sich von allein, ohne Anstrengung…Die Welt ist einfach in Ordnung, und diese Ordnung verwirklicht sich ohne Absicht, ohne Tun. „Tue das Nicht-Tun“ – das ist einer der Kernsätze bei Lao-tzu, und dieser Satz steht in so wunderbarem Widerspruch zu unserer Kultur der Über-Aktivität.
Das ganze Geplapper und die Hektik und die Wichtigtuerei, all das fällt weg, wenn die innere Ordnung einkehrt.
Das ist nun wirklich Welt-Philosophie, wie wir sie brauchen können!
Wenn wir das verstehen, dann werden wir wie Wipfelzweige oder wie das Wild auf dem Feld.
Der Taoismus setzte sich in Gegensatz zum Konfuzianismus. Konfuzius entwickelte ein Lehrgebäude, eine Ethik mit Werten aller Art.
Lao-tzu aber sagte sinngemäss, dass es vorbei ist mit der taoistischen Inspiration, sobald die Moralvorschriften kommen.
Chuang-tzus Taoismus ist eine leichtsinnige, leichtfertige und gleichzeitig tiefsinnige Sache:
Wie kannst du da noch hoffen, auf irgendwelchen Pfaden der Verträumtheit, Sorglosigkeit und Ungebundenheit zu wandeln,
fragt er einen seiner Schüler. Das Ziel ist also die Verträumtheit, nicht die Pflichterfüllung, die Sorglosigkeit und nicht die Sicherheit.
Unser Denken und unsere Traditionen sind schon ein wenig anders. Wir sind einseitig auf Leistung geprägt. Wir können uns Sorglosigkeit nicht vorstellen, weil man uns das ausgetrieben hat.
Es gibt, interessanterweise ebenfalls in China, die Tradition der lachenden Mönche, des lachenden Buddha, der sorglos durchs Land zieht und sich einfach nur amüsiert und des Lebens freut.
Chuang-tzu bedauert seine Mitmenschen:
Ist er nicht bemitleidenswert? Da schwitzt er und plagt sich ab bis ans Ende seiner Tage, ohne dabei je seiner Erfüllung gewahr zu werden; ganz und gar erschöpft er sich, ohne je zu wissen, wo Rast zu finden wäre – muss man ihn nicht bedauern? „Ich bin noch nicht tot!“ sagt er, aber was hat das für einen Wert? Sein Leib verfällt, der Geist folgt ihm nach – lässt sich leugnen, dass das ein grosser Jammer ist? Stets war des Menschen Leben ein derartiger Wirrwarr. S. 133
Und dann gibt er den Rat:
Der naturgegebenen Stimme des eigenen Herzens folgen und es zu seinem Lehrer machen.
Da haben wir die Essenz der Welt-Philosophie: Philosophischer Hit: Chuang-tzu
Vielleicht wird ja nun deutlich, warum es uns nach Teneriffa verschlagen hat, warum unser Flug nach Ecuador vorläufig nicht stattfinden konnte: Ich habe hier einen philosophischen Hit entdeckt, und er heisst Chuang-tzu (oder auch Tschuang-Tse).
Dass ich ein Liebhaber von Lao-tzu (Lao-tse) bin, dürfte vielen bekannt sein. Von Chuang-tzu hatte ich mal ein Buch, vor vielen Jahren, und ich weiss, dass er mir damals gefallen hat.
Das kleine Buch fiel mir in in die Hand, als ich kürzlich an der deutschen Strassen-Buchhandlung vorbei schlenderte. Ich sah einen Titel: TAO – Texte von Lao-tzu und Chuang-tzu.
Als ich auf dem Buchrücken las, dass Chuang-tzu durch seinen Humor und seine Ironie bekannt ist, war der Kauf keine Frage mehr. (Ich kaufe sehr wenig Bücher und habe sehr wenige mit dabei, wegen des Gewichtes.)
Chuang-tzu begeistert mich. Es ist gigantisch, was der Mann schreibt. Er hat im 4. Jahrhundert v. Chr. gelebt, etwas nach Lao-Tzu, in der hohen Zeit der Philosophen in China. Er schreibt philosophische Poesie, mit kräftigen Bildern, mit einer Ironie und souveränen Erhelltheit, die mir sonst noch kaum begegnet sind.
Er gefällt mir noch besser als Lao-tzu, und das will was heissen!
Worum geht es?
Natürlich um das Tao, das Unerklärbare, das durch Worte nicht gesagt werden kann, das nur der Weise erkennt und lebt.
Die erste Geschichte, die ich spontan aufschlug, handelt von einem Herzog und einem Radmacher. Der Herzog liest in einem Buch. Der Radmacher geht zu ihm und sagt sinngemäss: Wenn du in Büchern liest von Männern, die schon gestorben sind, dann liest du nur Abfall.
Der Herzog verlangt eine Erklärung, die folgendermassen lautet:
„Wenn ich beim Radmachen mit dem Hammer zu schwach zuschlage, rutscht mir der Meissel ab und greift nicht. Schlag‘ ich aber zu kräftig zu, dann steckt er gleich fest und lässt sich nicht mehr bewegen. Nicht zu schwach und nicht zu kräftig – die Hand bekommt ein Gespür dafür, und innerlich stimmt man sich darauf ab. Es lässt sich nicht in Worte fassen, und doch ist irgendein besonderer Trick dabei. Ich kann ihn meinem Sohn nicht lehren, und er kann ihn nicht von mir lernen….
Diese Männer aus längst vergangener Zeit nahmen alles Wissen, das sich nicht weitergeben liess, mit ins Grab. Also kann das, was Eure Hoheit hier lesen, nur der Abfall sein, der von ihnen übrigblieb.“
Was heisst das? Das versteht man sofort: Die eigentliche Kunst ist nicht lern- und nicht übertragbar, die kann man sich nur selbst durch Übung aneignen.
Das gilt genauso für die Lebenskunst, für die Weisheit, für die Lebensfreude: Man kann zwar darüber lesen, aber die eigentliche Tat, die Entscheidung kann man nur selbst vollbringen, den Weg kann man nur selbst gehen.
Es wimmelt von grossartigen Stellen in dem Buch. Manche sind wirklich hoch-philosophisch und auch paradox, aber viele sind gut verständlich und regelrecht ansteckend.
Ich habe solche Texte schon lange nicht mehr gelesen. Auch in der indischen Spiritualität habe ich kaum solche tiefgründigen und frechen Aussagen gefunden. Das Leela-Prinzip des Gottes Krishna hat uns beflügelt, aber in diesen chinesischen Texte kommt mir noch etwas ganz anderes entgegen.
Damals war die Welt nicht in Ordnung, und heute ist sie nicht in Ordnung. Aber damals gab es Menschen, die das Ganze mit sehr viel Humor, Klarsicht und Vision betrachteten!
Hier ist eine dieser Visionen:
In einem Zeitalter höchster Tugend werden die Grossen nicht geehrt und die Könner nicht beschäftigt. Herrscher sind wie die Wipfelzweige am Baum, das einfache Volk wie das Wild auf dem Feld. Sie tun das Rechte, aber sie wissen nicht, dass dies Rechtschaffenheit ist. Sie lieben einander, aber sie wissen nicht, dass dies Nächstenliebe ist. Sie sind wahrhaftig, wissen aber nicht, dass dies Treue ist. Darum hinterlassen ihre Schritte keine Spuren; darum werden ihre Taten nicht der Nachwelt überliefert.
Herrscher sind wie Wipfelzweige am Baum – wie schön! Sie schwingen mit, und das Herrschen ergibt sich von allein, ohne Anstrengung…Die Welt ist einfach in Ordnung, und diese Ordnung verwirklicht sich ohne Absicht, ohne Tun. „Tue das Nicht-Tun“ – das ist einer der Kernsätze bei Lao-tzu, und dieser Satz steht in so wunderbarem Widerspruch zu unserer Kultur der Über-Aktivität.
Das ganze Geplapper und die Hektik und die Wichtigtuerei, all das fällt weg, wenn die innere Ordnung einkehrt.
Das ist nun wirklich Welt-Philosophie, wie wir sie brauchen können!
Wenn wir das verstehen, dann werden wir wie Wipfelzweige oder wie das Wild auf dem Feld.
Der Taoismus setzte sich in Gegensatz zum Konfuzianismus. Konfuzius entwickelte ein Lehrgebäude, eine Ethik mit Werten aller Art.
Lao-tzu aber sagte sinngemäss, dass es vorbei ist mit der taoistischen Inspiration, sobald die Moralvorschriften kommen.
Chuang-tzus Taoismus ist eine leichtsinnige, leichtfertige und gleichzeitig tiefsinnige Sache:
Wie kannst du da noch hoffen, auf irgendwelchen Pfaden der Verträumtheit, Sorglosigkeit und Ungebundenheit zu wandeln,
fragt er einen seiner Schüler. Das Ziel ist also die Verträumtheit, nicht die Pflichterfüllung, die Sorglosigkeit und nicht die Sicherheit.
Unser Denken und unsere Traditionen sind schon ein wenig anders. Wir sind einseitig auf Leistung geprägt. Wir können uns Sorglosigkeit nicht vorstellen, weil man uns das ausgetrieben hat.
Es gibt, interessanterweise ebenfalls in China, die Tradition der lachenden Mönche, des lachenden Buddha, der sorglos durchs Land zieht und sich einfach nur amüsiert und des Lebens freut.
Chuang-tzu bedauert seine Mitmenschen:
Ist er nicht bemitleidenswert? Da schwitzt er und plagt sich ab bis ans Ende seiner Tage, ohne dabei je seiner Erfüllung gewahr zu werden; ganz und gar erschöpft er sich, ohne je zu wissen, wo Rast zu finden wäre – muss man ihn nicht bedauern? „Ich bin noch nicht tot!“ sagt er, aber was hat das für einen Wert? Sein Leib verfällt, der Geist folgt ihm nach – lässt sich leugnen, dass das ein grosser Jammer ist? Stets war des Menschen Leben ein derartiger Wirrwarr. S. 133
Und dann gibt er den Rat:
Der naturgegebenen Stimme des eigenen Herzens folgen und es zu seinem Lehrer machen.
Da haben wir die Essenz der Welt-Philosophie: Dem eigenen Herzen folgen. Der eigenen Erfüllung gewahr werden. Das ist doch ganz einfach, nicht wahr?
Ich habe das Adjektiv „gigantisch“ verwendet. Hier zum Schluss eine Stelle, die erneut klar macht, was ich mit diesem Wörtchen meine. Ansonsten empfehle ich, das Buch zu lesen – allerdings ist es wahrscheinlich nur noch antiquarisch zu haben; vielleicht auch am Buch-Stand in Puerto de la Cruz, Teneriffa 🙂
Chuang-tzu über den idealen Menschen:
Der ideale Mensch ist gottähnlich. Mögen die grossen Moore in Flammen stehen, sie können ihn nicht versengen; mögen die grossen Flüsse gefrieren, sie können ihn nicht erkälten; mag der jähe Blitz die Hügel spalten und das heulende Sturmgeschwader die See aufwühlen, sie können ihn nicht in Schrecken versetzen. Ein Mensch wie der reitet auf den Wolken und dem Nebel, steht breitbeinig über Sonne und Mond und schweift frei jenseits der vier Meere. Selbst Leben und Tod zeitigen keine Wirkung bei ihm, viel weniger noch die Grundsätze von Vorteil und Schaden. S. 145
Und ganz zuletzt noch ein Kommentar des Übersetzers aus der Einleitung des Bandes:
Chuang-tzu, so wie wir ihn aus dem ihm zugeschriebenen Werk rekonstruieren können, gilt als der grösste Dichterphilosoph der chinesischen Literatur; und das Poetische ist von seiner Konzeption des Tao in der Tat nicht abtrennbar. Das Verschmelzen des Selbst mit der schaffenden Dynamik des Universums liegt als intuitiv durchdringende Helle der Erleuchtung und als ego-vernichtende Stille ausserhalb jeglicher kommunikativer Dimension. S. 115, Peter Kobbe
Ich habe das Adjektiv „gigantisch“ verwendet. Hier zum Schluss eine Stelle, die erneut klar macht, was ich mit diesem Wörtchen meine. Ansonsten empfehle ich, das Buch zu lesen – allerdings ist es wahrscheinlich nur noch antiquarisch zu haben; vielleicht auch am Buch-Stand in Puerto de la Cruz, Teneriffa 🙂
Chuang-tzu über den idealen Menschen:
Der ideale Mensch ist gottähnlich. Mögen die grossen Moore in Flammen stehen, sie können ihn nicht versengen; mögen die grossen Flüsse gefrieren, sie können ihn nicht erkälten; mag der jähe Blitz die Hügel spalten und das heulende Sturmgeschwader die See aufwühlen, sie können ihn nicht in Schrecken versetzen. Ein Mensch wie der reitet auf den Wolken und dem Nebel, steht breitbeinig über Sonne und Mond und schweift frei jenseits der vier Meere. Selbst Leben und Tod zeitigen keine Wirkung bei ihm, viel weniger noch die Grundsätze von Vorteil und Schaden. S. 145
Und ganz zuletzt noch ein Kommentar des Übersetzers aus der Einleitung des Bandes:
Chuang-tzu, so wie wir ihn aus dem ihm zugeschriebenen Werk rekonstruieren können, gilt als der grösste Dichterphilosoph der chinesischen Literatur; und das Poetische ist von seiner Konzeption des Tao in der Tat nicht abtrennbar. Das Verschmelzen des Selbst mit der schaffenden Dynamik des Universums liegt als intuitiv durchdringende Helle der Erleuchtung und als ego-vernichtende Stille ausserhalb jeglicher kommunikativer Dimension. S. 115, Peter Kobbe
Ja, da werde ich noch weiter forschen 🙂
Danke, lieber Rolando für’s mit-teilen deiner Entdeckung von Chuang-tzu!Humorvoll das Wesentliche sagen: Eine gigantische Kunst!